Mensch-Natur als Interaktionswelt

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Inhaltsskizze

Das Seminar „Mensch-Natur als Interaktionswelt“ stellt eine Fortführung des Seminars „Die Konzeption der Natur“ (WS 2014/15) dar. Seinerzeit erarbeiteten wir mit Hilfe einschlägiger Texte aus dem Zeitraum von der Antike bis zur Neuzeit zentrale Naturbegriffe. Den Ausgangspunkt bildete Hegels wichtige Überlegung zu Beginn seiner Naturphilosophie, nach der unsere Einstellung zur Natur zwischen den Extremen des rein theoretischen Begreifens und des rein praktischen Eingreifens oszilliert. An dieser Gedankenfigur setzt das diessemestrige Seminar an. Genauer: Wir werden Texte rezipieren und analysieren, in deren Mittelpunkt die Überlegung steht, dass unser Selbst- und Weltverständnis in großen Teilen von realisierten Interaktionen abhängt.

Eingeschränkt auf die Beziehung Mensch-Natur bedeutet dies zweierlei: Erstens sind die Gehalte der Begriffe „Mensch“ und „Natur“ von den entsprechenden Mensch-Natur-Interaktionen abhängig. Zweitens folgt aus der Kopplung der Begriffsgehalte an raum-zeitlich variierende Interaktionen, dass sich die damit verbundenen Bedeutungen mit jeder neuen Interaktionsart weiter vervielfältigen oder ausdifferenzieren. Das Feld an Bedeutungen des Selbst und der Natur wird aus der Vielzahl an Interaktionsarten generiert. Die Untersuchung dieser prozessualen Genese von Begriffsbedeutungen bildet die erste Zielsetzung des Seminars. Die zweite ergibt sich aus dem Umstand, dass die Interaktionsarten auf entsprechende Verhaltensweisen abgebildet werden können, die wiederum bestimmte normative Einstellungen zur Natur und zu uns selbst als Menschen implizieren. Diese implizite Normativität von Interaktionen soll im Seminar exponiert werden.

Man kann die zwei Zielsetzungen auch wie folgt umschreiben: Im Seminar werden wir versuchen, die „Grammatik der Mensch-Natur-Interaktionen“ sowohl entlang der erkenntniskonstitutiven als auch entlang der handlungsnormierenden Dimension zu überblicken. Alle interessierten Studierenden sind dazu herzlich eingeladen.

Seminarziele

Beim Seminar „Mensch-Natur als Interaktion“ handelt es sich um ein Forschungsseminar, dessen grundlegende Zielsetzung in der obigen Inhaltsskizze bereits beschrieben wurde: die Rezeption von Texten, in denen der Ansatz ausgearbeitet wird, dass die Erkenntnis der Welt und des Selbst sowie die der möglichen ethisch relevanten Beziehungen zwischen Selbst und Welt auf den realisierten Interaktionen basiert. Fokussiert auf die Naturphilosophie und die Umweltethik sollen also Texte gelesen werden, in denen die Fragen:

  1. Was ist Natur?
  2. Welchen Wert messen wir dieser Natur — als der uns umgebenden und im Wesentlichen auch bedingenden Umwelt — zu?

mit Verweis auf die Interaktion zwischen Mensch und Natur beantwortet werden. In einfachen Worten: Wie und was wir als Natur erkennen, welchen moralisch Stellenwert wir ihr zuordnen, hängt davon ab, welche praktischen Bezüge zu ihr als Umwelt realisiert werden.
Diese These ist in vielerlei Hinsicht noch erklärungsbedürftig. Wichtige Konzepte bleiben an dieser Stelle ungeklärt und werden zunächst in ihren alltäglichen Bedeutungen verwendet. Mit kritischer Absicht müsste etwa gefragt werden:

  • Welche Bedeutungen müssen Mensch und Natur haben, sodass beide in eine Relationsbeziehung gesetzt werden können?
  • Wie weit trägt in diesem Zusammenhang die im umweltwissenschaftlichen Diskursen häufig anzutreffende Differenzierung der Begriff Natur (als der Gesamtheit des Lebendigen) und Umwelt (als der Gesamt aller anorganischen Aspekte des Materiellen)?
  • Es ist die Rede sowohl von Interaktionen als auch von praktischen Bezügen. Sind damit willentliche Handlungen gemeint oder ein willenloses, gar unbewusstes Verhalten?
  • Ist dieser Ansatz wegen seiner subjektzentrierten (erkenntnistheoretischen) Herangehensweise nicht grundsätzlich anthropozentrisch?
  • Wenn der Begriff des Wertes nicht schon an sich problematisch ist: Welcher ethisch relevante Wert ließe sich der Natur überhaupt aus einer solch quasi-anthropozentrischen Sicht heraus zuordnen, wenn nicht ein Minderwert im Vergleich zum Menschen als der eigentlichen Quelle der Wertzuschreibung?

Um diese und andere Fragen beantworten zu können, werden wir uns im Seminarverlauf eine klassische philosophische Arbeitstechnik zunutze machen, indem wir in die Philosophiehistorie zurückblicken und ein einflussreiches Philosophem kritisch analysieren, in welchem die Mensch-Natur-Interaktion eine zentrale Rolle spielt: nämlich den Konstruktivismus, insbesondere den Radikalen Konstruktivismus. Weitere Hinweise finden Sie im Lehrbrief zur einführenden Seminarsitzung am 27.10.2015 (siehe Seminarplan).

Anmeldung

Um am Seminar teilzunehmen sind zwei Schritte notwendig:

  • Bitte melden Sie ich im gleichnamigen OLAT-Kurs an. Eine Einschreibung in den OLAT-Kurs ist obligatorisch für die Seminarteilnahme.
  • Schreiben Sie bitte eine Kurzinterpretation über einen Filmausschnitt aus „Tree of Life“ vor dem Hintergrund der Seminarbeschreibung. Diesen finden Sie auf Youtube oder im OLAT-Kurs.
    Als Grundlage können Sie die zur Vorbereitung genannte Literatur nutzen, aber natürlich auch eigenständig recherchieren. Der Text sollte mindestens 600 Wörter, aber nicht mehr als 1000 Wörter umfassen.
    Ihre Interpretation schicken Sie bitte bis zum 30.10.2015 mit dem Betreff „Mensch-Natur“ an meine dienstliche E-Mailadresse. Die Abgabe der Interpretation ist die erste der Bedingungen, die für eine erfolgreiche Teilnahme erfüllt werden müssen.

Literaturempfehlungen

Stand: 12. Oktober 2015

  • Fritz B. Simon (2006): Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. 7. Aufl. Heidelberg: Carl-Auer Verlag (2015)
  • Ulf Dettmann (1999): Der Radikale Konstruktivismus. Tübingen: J.C.B. Mohr
  • Peter M. Hejl u. a., Hrsg. (1992): Einführung in den Konstruktivismus. 14. Aufl. München: Piper Verlag (2014)
  • Siegfried J. Schmidt, Hrsg. (1992): Kognition und Gesellschaft. Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus 2. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag
  • Gregory Bateson (1987): Geist und Natur. Eine notwendige Einheit. 10. Aufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (2014)
  • Humberto R. Maturana u. a. (1987): Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln menschlichen Erkennens. 6. Aufl. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch (2015)
  • Siegfried J. Schmidt, Hrsg. (1987): Der Diskurs des Radikalen Konstruktivismus. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag
  • Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1830): Gesamtwerk (TW). Auf Grundlage „der Werke“ neu editierte Ausgabe unter Redaktion von Eva Moldenhauer und Karl Markus Michel. Bd. 9: Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse. Zweiter Teil. Die Naturphilosophie. Frankfurt a. M.: Suhrkamp

Seminarplan

Hier finden Sie den bis zur jeweils kommenden Sitzung aktualisierten Seminarplan (der vorläufige Gesamtplan ist im Lehrbrief S01 enthalten). Zur Vorbereitung auf die einzelnen Sitzungen sollten Sie die kurzen Lehrbriefe mit Orientierungsaufgaben und Literaturempfehlungen lesen. Dazu klicken Sie den jeweiligen Download-Link in Klammern an. Die Lehrbrief-PDFs sind in einem eBook-freundlichen DIN-A5-Format. Der erste Lehrbrief wird am 13.10.2015 veröffentlicht. Die Literaturliste wird fortlaufend erweitert und ist am Ende des aktuellsten Lehrbriefs zu finden.

  1. | 27.10.2015 – Einführungsveranstaltung (Lehrbrief S01): Informationen zu den Leistungsanforderungen, dem Veranstaltungsthema und dem Seminarplan
  2. | 03.11.2015 – Einführung in den Radikalen Konstruktivismus (Lehrbrief S02): Wirklichkeitserkenntnis als fortwährend dynamischer Prozess
  3. | 10.11.2015 – Philosophiegeschichtliche Einordnung (Lehrbrief S03): Übersicht über die konstruktivistischen Strömungen und deren philosophiehistorischen Ankerpunkte
  4. | 17.11.2015 – Philosophiegeschichtliche Einordnung (Lehrbrief S04): Entwicklungspsychologische Wurzeln des Konstruktivismus. Piagets Parallele zwischen Erkenntnistheorie und Organismus-Umwelt-Interaktion
  5. | 24.11.2015 – Das Problem der Kognition (Lehrbrief S05): Foersters kognitionswissenschaftliche Begründung des Radikalen Konstruktivismus
  6. | 01.12.2015 – Philosophische Grundlagen des Konstruktivismus (Lehrbrief S06): Beobachtungsoperation, Autopoiesis
  7. | 07.12.2015 – Empirische Fragwürdigkeit des Radikalen Konstruktivismus (Lehrbrief S07): Begründung der informationellen Geschlossenheit
  8. | 14.12.2015 – Radikal-konstruktivistische Ethik (Lehrbrief S08): Selbstreflexivität und Freiheit
  9. | 12.01.2016 – Radikal-konstruktivistische Kommunikationstheorie (Lehrbrief S09): Kommunikation als Unterart der Interaktion
  10. | 19.01.2016 – Kritik am Konstruktivismus (Lehrbrief S10): Kritische Punkte und deren Erwiderungen
  11. | 26.01.2016 – Metaphysik des Konstruktivismus (Lehrbrief S11): Implizite normative Prinzipien
  12. | 02.02.2016 – Synopsis I (Lehrbrief S12): Kritischer Überblick über den RK
  13. | 09.02.2016 – Synopsis II (Lehrbrief S13): Innere Widersprüche der radikal-konstruktivistischen Ethikkonzeption