Anker:
Inhaltsskizze |
Seminarziele|
Literaturempfehlungen|
Anmeldung|
Seminarplan|
Inhaltsskizze
Im Mittelpunkt von Hannah Ginsborgs Essaysammlung
„The Normativity of Nature“ steht Kants drittes Hauptwerk: die „Kritik
der Urteilskraft“. Bereits seit ihrer Dissertation „The Role of Taste
in Kant’s Theory of Cognition“ geht sie dem Ansatz nach, dieses Werk
nicht nur als eine Theorie der Ästhetik und Teleologie zu lesen,
sondern vornehmlich als einen Beitrag zur Erkenntnistheorie. Dieses
Anliegen hebt Kant in seiner Einleitung selbst hervor: Aus
begründungstheoretischer Perspektive will Kant beweisen, dass sich die
Rede über Freiheit und die über Natur auf eine Welt und nicht auf zwei
völlig getrennte Welten und Gegenstandsbereiche beziehen. Adäquat dazu
„[soll] der Freiheitsbegriff [] den durch seine Gesetze aufgegebenen
Zweck in der Sinnenwelt wirklich machen, und die Natur muß folglich
auch so gedacht werden können, daß die Gesetzmäßigkeit ihrer Form
wenigstens zur Möglichkeit der in ihr zu bewirkenden Zwecke nach
Freiheitsgesetzen zusammenstimme.“ (KdU, Zweite Einleitung, B XIXf.)
Dieser Beweis ist nach Ginsborg für das kantische Programm derart
essenziell, dass nur mit dessen Hilfe wirklich verständlich wird, wie
Erkenntnis überhaupt möglich ist.
Ginsborg interessiert sich insbesondere für die
Form und den Gewissheitsstatus ästhetischer Urteile, an denen Kant die
systematische Vermittlungsfunktion der Urteilskraft demonstriert. Hier
spielen zwei Aspekte eine wesentliche Rolle in ihren Überlegungen:
Erstens wird über die Urteilskraft eine spezifische Verbindung
zwischen konkreten Fällen und allgemeinen Aussagen
hergestellt. Ästhetische Urteile sind einerseits subjektiv und nicht
objektiv beweisbar, andererseits beanspruchen wir mit ihnen eine Art
Allgemeingültigkeit. Kant spricht daher von der subjektiven
Allgemeinheit dieser Urteile. Zweitens spricht sich über diese Art von
Gewissheitsanspruch eine fundamentale Präsupposition aller Urteile
aus, nämlich dass sich diese (und somit auch unser
Erkenntnisvermögen) und die Welt angemessen aufeinander beziehen, geradeso als
ob sie zu diesem Zweck eingerichtet seien. Beispielsweise nehmen wir an,
dass die vielen besonderen Naturgesetze systematisch
zusammenhängen. Dieses (spekulative) Reflexionsprinzip ist eine regulative Bedingung
der Naturerkenntnis, die wir empirisch jedoch nicht beweisen
können. Ob die Natur wirklich so beschaffen ist, können wir laut Kant
nicht wissen.
Es bleibt aus Ginsborgs Sicht offen, auf welcher
Grundlage das Bewusstsein über die Angemessenheit zwischen den beiden
Relata – Erkenntnisvermögen und Welt – beruht. Kant scheint in diesem
Punkt zu einer pragmatistisch anmutenden Erklärung zu tendieren: Zum
einen zeigt uns die erfolgreiche Anwendung der regulativen Prinzipien
(nach dem Motto: Wir handeln einfach mal so, als ob …), dass wir diese
beibehalten sollten. Zum anderen scheint völlig unklar, welche
Alternative uns zu diesen spekulative Prinzipien blieben (etwa zum
Ideal des systematischen Zusammenhangs, nach dem wir die
Mannigfaltigkeit der Naturgesetze und mit ihnen die der empirischen
Erkenntnisse denken). Nach Ginsborg – das ist eine wesentliche
Weiterentwicklung von und auch ein Unterschied zu Kants Überlegungen –
muss das Bewusstsein über die Angemessenheit solch spekulativer
Urteile auf einer tiefer liegenden
und nicht-begrifflichen Einsicht basieren: Wir besitzen ein
vorbegriffliches Bewusstsein über die Angemessenheit solcher Prinzipien
(also der Prinzipien der Urteilskraft). Wir
„wissen“ also irgendwie, dass Prinzip X gültig sein sollte. Dabei handelt es
sich nach Ginsborg um eine höhere Art normativer Intuition, die uns
insbesondere von Tieren unterscheidet. Auf Basis dieser Überlegung
entwickelt Ginsborg das Konzept der primitiven Normativität, das sie
auf aktuelle philosophische Debatten anwendet. In den im Sammelband
enthaltenen Essays befasst sie sich vor allem mit Grundlegung dieses
Konzeptes auf Basis ihrer Kant-Interpretation.
Seminarziele
Im Seminar werden wir folgende inhaltlichen und methodischen Ziele
verfolgen:
-
Wir werden eine Auswahl an Essays aus dem Sammelband lesen, die sich
explizit mit Ginsborgs Kant-Interpretation und dem Konzept der
primitiven Normativität auseinandersetzen.
-
Zwei systematische Fragen stehen im Vordergrund: Wie tragfähig
ist Ginsborgs Interpretation der Funktion der Urteilskraft
innerhalb der Erkenntnis (insbesondere mit Bezug zum
Gewissheitsstatus deren Prinzipien)? Welche Schlussfolgerungen
ergeben sich aus dieser spezifischen Kant-Interpretation für ihr
Konzept der primitiven Normativität?
-
Aus methodischer Sicht verfolgt das Seminar zwei Ziele: Zum einen
wollen wir gemeinsam einen Einblick in Ginsborgs interessanten
Interpretationsansatz von Kants KdU gewinnen. Zum anderen soll die
Fähigkeit eingeübt werden, aus einer Vielzahl an Aufsätzen eines
Autors dessen philosophische Position zu kennzeichnen (mit Fokus auf
dem Konzept der primitiven Normativität). Das Seminar geht daher über
einen klassischen Lektürekurs hinaus und verlangt von TeilnehmerInnen
eine gewisse Bereitschaft zur eigenständigen Rekonstruktion eines
relativ aktuellen Ansatzes (zu dem bisher wenig Sekundärliteratur existiert).
Das Seminar kann als Grundlagenkurs für das Blockseminar
„Vom Regelfolgenproblem zur
primitiven Normativität? Eine erkenntnistheoretische Perspektive auf
die Tierethik“ genutzt werden, welches ich im August abhalte.
Literaturempfehlungen
Ginsborgs Texte sind voraussetzungsreich. Grundkenntnisse
über Kants KdU sind daher wünschenswert. Folgende Literatur
eignet sich zur Vorbereitung des Seminars:
-
Hannah Ginsborg: The Normativity of Nature. Essays on Kant's Critique
of Judgement, Oxford University Press: Oxford 2015 --> Auszüge im Reader
enthalten, siehe gleichnamigen
OLAT-Kurs.
Anmeldung
Um am Seminar teilzunehmen, melden Sie sich bitte im
gleichnamigen
OLAT-Kurs an. Eine Einschreibung in den OLAT-Kurs ist
obligatorisch für die Seminarteilnahme. Informationen über die
Leistung zur Bestätigung der aktiven Teilnahme und über andere formale
Aspekte finden Sie im ersten Lehrbrief (S01).
Seminarplan
Hier finden Sie den bis zur jeweils kommenden Sitzung aktualisierten
Seminarplan. Zur Vorbereitung auf die einzelnen Sitzungen werden an
dieser Stelle jeweils Vorbereitungsaufgaben finden (zu diesem Seminar
werden keine Lehrbriefe angefertigt wie sonst in meinen Seminaren
üblich).
- | 13.04.2017 - Einführungsveranstaltung
- | 20.04. + 27.04.2017 - Kant on the Subjectivity of Taste. Lösen Sie dazu folgende Aufgaben:
- Skizzieren Sie kurz Kants Beispiel des jungen Poeten.
- Erläutern Sie die Differenz zwischen primären und sekundären Qualitäten. Wie unterscheiden sich ästhetische Urteile von Urteilen, in denen primäre bzw. sekundäre Qualitäten zum Ausdruck kommen?
- Erläutern Sie die jeweilige Position der im Text erwähnten Autoren (also die von Ameriks, Burk, McDowell Wiggins, Kant und Ginsburg). Achten Sie dabei darauf, wie unterschiedlich die Autoren das Verhältnis zwischen den drei Aspekten bestimmen, die den Erkenntnisprozess beeinflussen: die Ebene der naturgesetzlich determinierten Verhältnisse (zwischen den Massekörpern untereinander sowie diesen und unserer physischen Ausstattung), die Ebene sozialer und psychischen Verhältnisse, die (inner-)subjektive Ebene des sinnlichen und begrifflichen Bewusstseins.
- | 04.05. + 11.05.2017 - Lawfulness Without a Law: Kant on the Free Play of Imagination. Lösen Sie dazu folgende Aufgaben:
- | 18.05. + 25.05.2017 - Aesthetic Judgement and Perceptual Normativity. Lösen Sie dazu folgende Aufgaben:
- | 01.06. + 08.06.2017 - The Appearance of Spontaneity: Kant on Judgement and Empirical Self-Knowledge. Lösen Sie dazu folgende Aufgaben:
- | 15.06. + 22.06.2017 - Kant on Aesthetic and Biological Purposiveness. Lösen Sie dazu folgende Aufgaben:
- | 29.06. + 06.07.2017 - Kant on Understanding Organisms as Natural Purposes. Lösen Sie dazu folgende Aufgaben:
- | 13.07.2017 - Synopsis. Lösen Sie dazu folgende Aufgaben: